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Kunst

Über Kunst von der Antike über Renaissance und Barock bis zum Expressionismus schreibt der Autor, der einige Jahre Korrespondent des Kunstmagazins art war, regelmäßig vor allem für die Sächsische Zeitung.

Oskar Zwintscher, Selbstbildnis mit Tod, 1897_farbkorr_kl.jpg

ZWINTSCHER IN MEISSEN

Oskar Zwintscher (1870-1916), dessen Ausstellung bis 15. Januar im Dresdner Albertinum zu sehen war, hat das „Selbstbildnis mit Tod“, das sonst in den Kunstsammlungen Chemnitz hängt, 1897 gemalt. Der gebürtige Leipziger war fünf Jahre zuvor, gegen Ende seines Studiums an der Dresdner Kunstakademie, nach Meißen gezogen. Die Munkelt’sche Stiftung hatte ihm ein dreijähriges Stipendium zugesprochen. Laut Adressbuch wohnte „der Kunstmaler Zwintscher“ im Burglehnhaus an der Schlossbrücke über den Hohlweg. Jahrzehnte vor ihm hatte dort schon der Romantiker Ludwig Richter residiert. Zwintscher lernte vermutlich in Meißen Adele Ebelt kennen, die Tochter eines Böttchermeisters und Weinbergbesitzers, die er einige Monate nach diesem Selbstbildnis heiratete. Sie wurde seine Muse, und er hat sie bis zu seinem frühen Tod im Februar 1916 in Loschwitz unzählige Male porträtierte. Bis er 1903 eine Professur an der Dresdner Akademie antrat, schlug er sich mit diversen Aufträgen durch, auch als Karikaturist für die Meggendorfer Blätter und als Werbegrafiker unter anderem für den Schokoladenhersteller Stollwerck. Das vorliegende Bildnis setzt sich aus drei, vier Elementen zusammen. Da ist er selbst. Ein junger Maler mit Pinsel und Palette. Sein brennender Blick verrät Willenskraft und Verletzlichkeit. Der Hintergrund teilt sich in nah und fern. Rechts sehen wir Meißens Burgberg mit dem Dom, dessen neogotischen Turmspitzen erst ab 1903 vollendet wurden. Hinter ihm selbst, links im Bild auf dem Wandschirm, ist ein japanischer Druck von 1830 angedeutet, eine von Hokusais berühmten Darstellungen des Fuji. Die Sanduhr des Lebens in der Bildmitte ist noch gut gefüllt, und doch lässt sich der Tod bereits blicken, eine Metapher, die sich in der Kunstgeschichte von Albrecht Dürer bis Arnold Böcklin immer wieder findet. Zwintscher, der Grübler, der von Kind an eine angegriffene Gesundheit hatte, zeigt hier, dass er bereit ist, sich durchzubeißen. Zwei Jahre später hatte er in Dresden im Kunstsalon Wolffram seine erste Personalausstellung. FOKUS GESICHT. Augen, Mund und Kopfhaltung verraten Anspannung und Sensibilität, gepaart mit starkem Willen. Schon bald wurde Zwintscher zumindest in Sachsen als interessanter Künstler wahrgenommen. Im Hintergrund sehen wir Katsushika Hokusais Druck mit Japans heiligem Berg, dem Fuji. FOKUS HÄNDE. Ein raffiniertes Detail von Zwintschers Komposition: Drei Hände bilden ein Dreieck, das die von der Sanduhr symbolisierte verrinnende Zeit umschließt. Oben die Hände des schaffenden Künstlers, unten die Knochenhand des Todes. Dieses Dreieck steht auf der Spitze, das Schicksal kann jederzeit kippen. FOKUS STADT. Der Dom entstand ab 1260, auch der Südostturm ist alt. Die neugotischen Turmspitzen der Westtürme, die erst ab 1903 errichtet wurden, fehlen hier noch. Die zwei Giebel davor gehören zum Kerstinghaus, Domplatz 10, einst Sitz der Benediktiner, heute Hotel. Im Vordergrund: Haus Hohlweg 3. FOKUS TOD: Totenkopf und Gerippe finden sich häufig in der Kunst des Mittelalters, aber auch in Renaissance und Romantik und in der melancholischen Bildwelt des Symbolismus, zu dem sich der junge Zwintscher hingezogen fühlte. Der geneigte Schädel hier lässt den Tod listig, fast verschmitzt wirken. Er grinst. Zur Abbildung: Oskar Zwintscher, „Selbstbildnis mit Tod“, Kunstsammlungen Chemnitz (Foto: Katalog zur Ausstellung im Albertinum Dresden)

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MADONNA ALS GEISEL

Taucht im Jahresrückblick ein Kunstwerk auf, dann nicht wegen seiner Schönheit oder Bedeutung, sondern weil etwas Spektakuläres passiert ist. Raffaels „Sixtinische Madonna“ war am 23. August weltweit in die Schlagzeilen. Das Bild war zwar nicht verschwunden, aber in Gefahr geraten. Sicherlich haben Sie davon gehört: Ein Herr Beyer, 28, und eine Frau Grunst, 21, klebten unter dem Vorwand, einen markanten Beitrag dazu zu leisten, die Welt zu retten, ihre Hände an den Prunkrahmen. Ähnliche Aktionen der selbsternannten „Letzten Generation“ gab es in London, Rom, Potsdam, Florenz, Amsterdam – Bedrohungen mit Ansage: „Die international bekannte Sixtinische Madonna“, erklärte Frau Grunst mit dem Gestus einer Missionarin, „ist ein starkes Symbol: Maria und Jesus blicken mit Furcht in die Zukunft. Sie sehen dem Kreuztod Christi mit Schrecken entgegen. Ein genauso vorhersehbarer Tod wird auch das Resultat des Klimakollaps sein. Und zwar auf der ganzen Welt!“ Es mag bedenklich sein, solchen Leuten zusätzliche Aufmerksamkeit zu verschaffen, denn genau darauf sind sie mit ihrer plakativen Aggression aus. Kunstwerke sind wehrlos und können nichts für Fehlleistungen der Politik. Dennoch ist es wichtig, darauf hinzuweisen, wie verkorkst der Ansatz dieser vorgeblichen Weltretter ist. Mit derselben zynischen Logik könnten sie Kinder kidnappen und dann schwadronieren, dass sie mit den verstörten Mienen ihrer Opfer das schreckliche Ende der Erde spiegeln und damit aufrütteln wollen. Als der Anschlag auf die Madonna bekannt wurde, machte die Meinung die Runde, man hätte die beiden Geleimten einfach kleben lassen sollen. Das klingt zwar nach alttestamentarischer Gerechtigkeit: „Die sich gewaltsam heften an das Gute wie das Böse, sollen haften bleiben immerdar!“ Doch das verbietet sich schon aus ästhetischer Sicht: Wer Eintritt für die Alten Meister bezahlt hat, will keine Erbärmlichen Dilettanten sehen, die sich unter Raffaels Madonna früher oder später in die Aktivistenhosen machen würden. Der opulente Rahmen, der durch die Aktion Schaden nahm, kann repariert werden. Alt ist er nicht. Die Münchner Firma Werner Murrer hat ihn 2012 für die Dresdner Galerie angefertigt. Dabei wurde der Tabernakelrahmen eines Gemäldes von Lorenzo Costa kopiert, das 1497 entstand und in Bologna hängt. Tabernakel bedeutet Hütte oder Zelt und meint hier die für Altäre einst übliche Schrankform mit wuchtigem Sockel und Aufsatz und säulenartigen Seitenteilen. Im Tabernakel einer Kirche wurden mitunter Reliquien verwahrt, darunter vermeintliche Skelettreste von Heiligen. Für Raffaels Madonna ist dieser Rahmen wohl der neunte, und er hat den schmaleren, schlichteren Renaissancerahmen abgelöst, den 1956 der Dresdner Restaurator und Vergolder Otto Heybey schuf und das Meisterwerk möglicherweise besser zur Geltung brachte als der historistische Kasten, den die Museumsleitung 2012 in Bayern schnitzen ließ. Das Dresdner Publikum wurde nicht gefragt. Anlass war der 500. Geburtstag des Bildes. Raffaello Sanzio hat es um 1512 im päpstlichen Auftrag für das Kloster San Sisto in Piacenza gemalt. Zur Weihe der neuen Kirche 1514 war es in den Altar integriert. Wie der Rahmen aussah, ist nicht überliefert. 1599 wurde es nach der Erweiterung der Kirche umplatziert und wohl auch neu eingefasst. Der schwülstige barocke Rahmen, der heute in Piacenza eine Kopie präsentiert, wurde um 1698 von Giovanni Setti noch für das Original gefertigt, das laut Vertrag vom 9. März 1753 für 25.000 Scudi romani nach Dresden ging. Hier kam das Bild zunächst in einen Galerierahmen im Rokokostil, der hundert Jahre später durch einen ersten historisierenden Tabernakelschrein ersetzt wurde. Den zweiten Weltkrieg verbrachte die Madonna in einer Kiste, zuletzt in einem Tunnel bei Pirna. 1955 wurde sie in Moskau in einem dezenten Renaissancerahmen gezeigt, nach der Rückkehr zunächst in Berlin in einem Barockrahmen, bis sie in Dresden die bekannte Einfassung von Otto Heybey erhielt. Wichtiger als jegliches Drumherum ist freilich das Bild selbst. Eine Mutter wird immer Angst um ihr Kind haben, egal wie es heißt. FOKUS MARIA. Wir kennen sie als „Sixtinische Madonna“, weil das Gemälde für die dem heiligen Sixtus geweihte Kirche in Piacenza entstand, in der es 240 Jahre hing, bis es nach Dresden verkauft wurde. Ein russischer Galeriebesucher schrieb 1843: „Da geht eine Frau über den Himmel, für die es keine Geheimnisse mehr in der Welt gibt, die Anfang und Ende von allem kennt.“ FOKUS SIXTUS. Raffael hat hier den heiligen Sixtus ins Bild gesetzt. Sein Profil dürfte ein Porträt des Auftraggebers sein. Papst Julius II. hatte bereits den Neubau der Klosterkirche San Sisto angeregt. Dessen Onkel war auch Papst und hatte sich Sixtus IV. genannt. Der Heilige selbst gilt als Märtyrer und soll, als Bischof von Rom, im Jahre 258 enthauptet worden sein. FOKUS BARBARA. Santa Barbara wurde in Piacenza schon im Frühmittelalter verehrt. Frankenkaiserin Angilberta schenkte dem von ihr gegründeten Kloster San Sisto die mutmaßlichen Gebeine der Heiligen. Allerdings behauptet auch eine venezianische Kirche, die Reliquien zu beherbergen. Laut Legende war Barbara in einem Turm eingesperrt und wurde vom eigenen Vater erschlagen. FOKUS ENGELCHEN. Die Engel, weltweit in Kitschläden auf Kissen und Tassen zu bewundern, hat Raffael vermutlich zuletzt gemalt. Sie bilden die Brücke vom himmlischen zum irdischen Geschehen, verstärken die Perspektive und ertragen gelassen, wenn sie in all ihrer Unschuld missbraucht werden. Man stelle sich vor, sie könnten Leim in Staub verwandeln. Dann wäre gar nix passiert. (Dieser Text erschien leicht gekürzt Ende 2022 in der Sächsischen Zeitung.)

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DER MYTHOS DER LISA

Ein kleines Gemälde im Pariser Louvre, das nur 77 mal 53 Zentimeter misst, ist das berühmteste Bild der Welt. Es stammt von Leonardo, dem Ausnahmekünstler aus Vinci, und es zeigt eine verhalten lächelnde Frau. Die Franzosen nennen das Porträt „La Joconde“, die Italiener „La Gioconda“, englischsprachige Völker und wir Deutschen meist „Mona Lisa“, in der verbreiteten Annahme, dies sei das Bildnis der Lisa Gherardini, die mit dem Kaufmann Francesco del Giocondo verheiratet war. Diese Vermutung ist höchstwahrscheinlich falsch. Was wissen wir? Erstens gilt als erwiesen, dass Leonardo tatsächlich ab 1503 die damals 24-jährige Lisa porträtiert hat. Im Oktober jenes Jahres erwähnte Agostino Vespucci, ein Florentiner Beamter, in einer Notiz zwei Bilder, an denen Leonardo gerade arbeitete, darunter den „Kopf der Lisa del Giocondo“. Diese Zeilen wurden 2008 wiederentdeckt. Er hat sie also gemalt. Aber ist wirklich sie in Paris zu sehen? Als sicher gilt zweitens, dass der Kardinal Luigi d’Aragona im Herbst 1517 Leonardo in dessen Alterswohnsitz im französischen Cloux bei Amboise besuchte und dort drei Gemälde sah, die bald nach dem Tod des Malers, der anderthalb Jahre später starb, in den Besitz des französischen Königs gelangten und heute im Louvre zu sehen sind. Der Sekretär des Kardinals notierte zu dem Frauenbildnis, es zeige laut Leonardo eine „florentinische Dame“, die er „im Auftrag von Giuliano de’ Medici gemacht“ habe. Hierzu wäre anzumerken, dass dieser Giuliano, dritter Sohn von Lorenzo „il Magnifico“ de’ Medici, wegen der strikten politischen Verbannung der Medici-Familie zwischen November 1494 und September 1511 definitiv nicht in Florenz war. Leonardo hat erst ab 1513 in Rom für Giuliano gearbeitet, nachdem dessen älterer Bruder Giovanni als Leo X. Papst geworden war. Das 1503 begonnene Lisa-Bildnis kann damit kaum gemeint sein. Drittens hat der Pariser Forscher Pascal Cotte, der das Porträt aus dem Louvre einer Multispektralanalyse unterzog, in einer vor wenigen Monaten erschienenen Publikation nachgewiesen, dass unter der Oberfläche des Gemäldes, das wir alle kennen, drei weitere Fassungen von Frauenbildnissen existieren, die zwar die gleichen Proportionen aufweisen und auch im Umriss fast identisch sind, sich im Detail aber markant unterscheiden. Besonders interessant ist die dritte, also vorletzte Malschicht, denn die zeigt nach Cottes Ansicht die echte Lisa. Über sie wissen wir ganz gut Bescheid. Sie wurde am 15. Juni 1479 in Florenz geboren, in einem Palazzo in der Via Sguazza unweit von Palazzo Pitti und Ponte Vecchio. Die Familie gehörte zur Aristokratie der Stadtrepublik und besaß auch Ländereien, so in Greve im Chianti. Der Vater handelte mit Öl, Wein und Korn. In den 1490ern wohnte die Familie im Viertel Santa Croce ganz in der Nähe der Kanzlei von Piero da Vinci, dem leiblichen Vater Leonardos. Der war als Advokat vermutlich sowohl für Lisas Vater als auch für den Kaufmann Francesco del Giocondo tätig, der die damals erst 15-jährige Lisa im April 1495 heiratete. Die Mitgift bestand aus 170 Goldstücken (Fiorini oder Florin) und dem Landgut San Silvestro. Er war 15 Jahre älter als sie und schon zweimal verwitwet. Seine erste Frau war eine Tante von Lisa. Die Familie del Giocondo wohnte dann in den oberen beiden Etagen eines Palazzos in der Via della Stufa 23. Dort brachte Lisa fünf Kinder zur Welt und zog sie zusammen mit dem Sohn auf, den ihr Mann mit ihrer Tante gezeugt hatte. In diesem Palazzo unweit der Kirche San Lorenzo könnten auch Leonardos Entwürfe für das Bildnis entstanden sein, an dem er im Auftrag des Ehemanns ab 1503 arbeitete. Lisas Töchter wurden beide später Nonnen im Kloster Sant’Orsola, das sich gleich um die Ecke befand. Lisa starb im Hospital genau dieses Klosters am 15. Juli 1542 mit 63 Jahren, vier Jahre nach Francesco, der 1538 der Pest zum Opfer gefallen war. Die unter dem Pariser Bild versteckte Fassung, die Pascal Cotte rekonstruiert hat, könnte das Bild von 1503 sein. Man sieht eine Frau mit der kurz nach 1500 üblichen Frisur und Mode. Elisabetta Gnignera, eine Expertin aus Florenz für historische Kleider, hat das bestätigt. Sie verweist auch auf zwei Bilder des damaligen Jungstars Raffael, die fast zeitgleich entstanden sind. Das Bildnis der Maddalena Doni, geborene Strozzi, und die „Junge Dame mit dem Einhorn“, die er 1506 mit 23 Jahren malte, zeigen Frauen in derselben Dreivierteldrehung, mit den gleichen Frisuren und ganz ähnlichen Kleidern bis hin zu Details am Saum des Dekolletés und an den Ärmeln, bis zu dem Haarband und dem transparenten, schleierartigen Schultertuch. Zur Ergänzung, da von drei verborgenen Schichten die Rede war: Die unterste Lage, direkt über der typischen Leonardo-Grundierung, deutet einen Entwurf der Figur mit fast gleichen Proportionen an, allerdings etwas größer und mit Unterschieden zu den späteren Versionen an beiden Händen. Bei der zweiten Schicht unmittelbar darüber konzipierte Leonardo wohl eine mythologische Frauengestalt oder eine Madonna, denn die zwölf offenbar mit Perlen besetzten Haarnadeln, die Pascal Cotte im Schopf identifizierte, decken sich mit Darstellungen antiker Göttinnen oder Marienbildern etwa bei Botticelli, den Leonardo gekannt hatte und dessen Werke noch allgegenwärtig waren. Cottes These klingt überzeugend: Als Leonardo um 1503 den Auftrag annahm, die Lisa zu proträtieren, griff er auf dieses halbfertige Bild einer Diana oder Maria zurück und verlieh ihr nun die Züge von Giocondos Gattin. Verheiratete Frauen wurden damals dort übrigens mit „Monna“, einer Kurzform von „ma donna“ (meine Dame), und dem Vornamen angesprochen: Monna Lisa. Der historische Übertragungsfehler, bei dem ein N verloren ging, ist heikel. Denn das Wort „mona“ ist im Italienischen ein vulgärer Ausdruck für Vagina, und so wäre es in Italien undenkbar, „Mona Lisa“ zu sagen. Man gebraucht „Gioconda“, was auch „die Tröstende“ bedeutet, oder eben „Monna Lisa“. Nachdem Lisas Bildnis, warum auch immer, im Hause del Giocondo nicht abgenommen wurde, behielt Leonardo die Tafel. Er nahm sie bei seinen Umzügen mit, erst nach Mailand, dann 1513 nach Rom, wo er nach einer gängigen Hypothese, die auch Pascal Cotte teilt, von Giuliano de’ Medici, dem Bruder des neuen Papstes Leo X., den Auftrag erhielt, dessen verstorbene Geliebte Pacifica Brandani zu malen, von der Giuliano einen Sohn hatte. Wieder überarbeitete der Maler ein vorhandenes Bild, und nun dürfte das Antlitz jene Züge erhalten haben, die wir kennen: Diese Frau hat deutlich vollere Wangen, die lockigen Haare fallen offen über die Schultern, sie ist in ein dezenteres, zeitloseres Gewand gekleidet und heftet den Blick nun direkt auf uns Betrachter, während die Lisa der vorigen dritten Version uns noch über die linke Schulter schaute. Ironie der Geschichte: 1516 starb auch Giuliano, sodass Leonardo wohl abermals auf dem Bild sitzen blieb. Jedenfalls hatte er es bei sich, als er dem Ruf des neuen französischen Königs Franz folgte und sich, als dessen Hofmaler, in Cloux niederließ. Vielleicht hat er dort an dem Bild weitergearbeitet, es zum vieldeutigen Gleichnis auf die Schönheit vervollkommnet. Seine Schüler Salai und Melzi haben das Bild kopiert – eine dieser Fassungen ist im Prado in Madrid zu sehen – und auch den Begriff „Gioconda“ weitergetragen, der auf Lisa anspielen mag, deren Porträt darunter für ein halbes Jahrtausend verborgen blieb. Das Bild in Paris hängt weiterhin im Louvre, dunkler und grünlicher, als es zu Zeiten seiner Vollendung aussah, und es ist viel berühmter als damals. Einige Geheimnisse zu seiner Geschichte konnten gelüftet werfen. Doch die ganze Wahrheit werden wir nie erfahren. Die Monna Lisa, wie wir sie nennen sollten, bleibt ein Mythos. Zur Abbildung: Lisa oder Pacifica oder wer? Rechts zu sehen ist die sogenannte „Gioconda“ oder „Mona Lisa“ aus dem Louvre in der rekonstruierten Farbigkeit zur Zeit von Leonardos Tod 1519, links das darunter verborgene Bildnis von ca. 1503, das vermutlich die wahre Lisa del Giocondo zeigt.

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